Am 26.04.1986 ereignete sich die größte Katastrophe der zivilen Nuklearnutzung. Um 1:23 nachts explodierte der Block 4 des Kernkraftwerks Tschernobyl. Anhand eines simulierten Stromausfalls sollte nachgewiesen werden, dass das Kraftwerk bei einem Stromausfall sicher weiterbetrieben werden kann. Begonnen wurde mit dem Test am 25.04.1986, indem die Leistung des Reaktors heruntergefahren und das Notkühlsystem deaktiviert wurde. Nach einem unerwartet hohen Strombedarf in Kiew wurde der Test jedoch pausiert und auf den nächsten Tag verschoben. Der Reaktor lief mit einer Leistung von 50% weiter, das Notkühlsystem blieb deaktiviert. Am Folgetag wurde das Experiment fortgesetzt und die Leistung des Reaktors wurde weiter gesenkt. Für einen sicheren Betrieb des Kraftwerks sollte eine Leistung von 20 – 30% gehalten werden. Vermutlich fiel die Reaktorleistung durch einen Eingabefehler eines Technikers auf lediglich 1% ab. Trotz des sehr instabilen Betriebszustands des Reaktors wurde die Sicherheitsvorschrift, den Reaktor abzuschalten, ignoriert und das Experiment fortgeführt. Die Sicherheitsventile des Turbinengenerators wurden geschlossen, wodurch sich der Wasserzufluss im Reaktor verringerte und die Temperatur rapide anstieg. Es kam zu einer unkontrollierten atomaren Kettenreaktion. Nach nur wenigen Sekunden explodierte der Reaktor und zerstörte die Gebäudehülle.
Die Folgen des Unfalls
Als Folge des Unfalls wurden erhebliche Mengen an radioaktiv belasteter Masse in die Atmosphäre freigesetzt. Durch Windströmungen wurde diese über halb Europa getragen und setzte sich durch Niederschlag in vielen Ländern ab.
Bei den Arbeiten zur Beseitigung der Folgen des Atomkraftwerkunfalls wurden Personen, die sogenannten Liquidatoren, eingesetzt. Einige von ihnen waren nicht ausreichend mit Schutzkleidung ausgestattet, was dazu führte, dass sie einer hohen Strahlendosis ausgesetzt waren. In den Jahren 1986 und 1987 waren über 240.000 Personen mit Aufgaben in der Sperrzone rund um Tschernobyl beauftragt.
Es besteht nach wie vor Unklarheit über die Anzahl der Opfer, die direkt mit dem Atomkraftwerkunfall in Verbindung stehen. Die verfügbaren Daten variieren je nach Studie. Laut der Weltgesundheitsorganisation beläuft sich die Zahl der Todesopfer auf 17.000, während Greenpeace von über 90.000 ausgeht.
Tschernobyl inmitten eines Kriegs
Durch den Angriffskrieg auf die Ukraine stellen sich neue Sicherheitsfragen rund um die Ruinen des Kraftwerks. Nach wie vor werden Brennstäbe auf dem Gelände gelagert, die aktiv gekühlt werden müssen. Dafür ist eine sichere Stromversorgung notwendig. Am Anfang des Kriegs war das Areal zwischenzeitlich von russischen Truppen besetzt und die Stromversorgung eingeschränkt. Mittlerweile haben sich die russischen Truppen aus der Region zurückgezogen und es ist zu keinen weiteren Zwischenfällen gekommen.
Laut Medienberichten kommt es auch um das größte Atomkraftwerk Europas, Saporischschja, zu Gefechten. Die IAEA (Internationale Atomenergie-Organisation) warnt ausgiebig vor dem Risiko von Kampfhandlungen in der Nähe von Atomkraftwerken und ist um die Sicherheit der Kraftwerke besorgt.
Europa geht unterschiedliche Wege
Am 15. April gingen die letzten drei Kernreaktoren in Deutschland vom Stromnetz. Nach einer Laufzeitverlängerung, aufgrund der Energiekrise, hat Deutschland nun mit dem atomaren Zeitalter abgeschlossen. Dies ist ein wichtiges Zeichen für den dringend notwendigen Ausbau der Erneuerbaren Energien und dem damit verbundenen Wandel des Energiesystems.
Aber nicht in jedem Land Europas ist dieser Trend zu beobachten. In Europa wird noch immer mit rund 100 Atomkraftwerken Strom gewonnen, ein Großteil davon steht in Frankreich. Andere Länder beginnen mit dem Bau von neuen Kraftwerken. In Polen soll 2033 der erste Kernreaktor an das Stromnetz angeschlossen werden. Ein Plan, der von der EU unterstützt wird, indem die Atomkraft laut EU-Taxonomie-Verordnung als nachhaltige Energieform eingestuft wird.
Die Atomenergie als Auslaufmodell
Spätestens seit Tschernobyl sind uns die enormen Risiken der Atomkraft bewusst. Zu groß sind die damit verbundenen Gefahren und Kosten. Auch die Entscheidung der EU, Strom aus Kernenergie als nachhaltig anzusehen, ist fragwürdig. Es fallen im laufenden Betrieb von Atomkraftwerken zwar keine CO2 – Emissionen an, jedoch sind die Treibhausgasemissionen eines Atomkraftwerks auf die gesamte Lebensdauer betrachtet enorm. Laut dem IPCC-Report werden pro Kilowattstunde Strom bis zu 220g CO2 ausgestoßen. Im Vergleich dazu haben Wasserkraftwerke einen erheblich niedrigeren CO2-Ausstoß von nur 70 Gramm pro Kilowattstunde, einschließlich der Berücksichtigung von Stauseen. Kleinwasserkraftwerke haben unter diesem Gesichtspunkt einen noch niedrigeren CO2-Ausstoß.
Tschernobyl hat uns gezeigt, welche Ausmaße ein Unfall in einem Atomkraftwerk annehmen kann. Der heutige Tag soll uns an die Risiken erinnern, die von Atomkraft ausgehen und uns für tatsächlich nachhaltige und grüne Energieformen sensibilisieren.